Symposium „Sinn und Unsinn digitaler Medien in der sprachlichen Bildung“
von Till Woerfel
Das digitale Angebot für die schulische Bildung wächst gegenwärtig mit rasanter Geschwindigkeit. Dabei fragen die beteiligten Akteure aktuell jedoch nicht ausreichend nach Sinn und Unsinn oder – anders ausgedrückt – nach Nutzen und Kosten der digitalen Medien. Eine wissenschaftliche Absicherung auf Grundlage theoretischer Überlegungen oder empirischer Evaluationen ist selten gegeben oder, wenn vorhanden, intransparent.
In ihren Beiträgen präsentierten die Vortragenden des Symposiums Sinn und Unsinn digitaler Medien in der sprachlichen Bildung, das im Rahmen der siebten Jahrestagung des Mercator-Instituts stattgefunden hat, empirische Befunde, Entwicklungsvorhaben sowie theoretische Überlegungen, ob und wie Lehrkräfte digitale Medien für konkrete sprachliche Lehr-/Lernprozesse im Kontext der schulischen Bildung nutzen können. In diesem Zusammenhang haben die Referentinnen, Referenten und Teilnehmenden Herausforderungen und Potenziale unter folgenden Fragestellungen diskutiert, die durch die Digitalisierung für sprachliche Bildung entstehen.
Wie können Lehrende Lese- und Rechtschreibkompetenzen durch den Einsatz digitaler Medien fördern?
Prof. Dr. Michael Beißwenger (Universität Duisburg-Essen) zeigte in seiner Präsentation, wie Lehrende im Kontext der Gamification mithilfe des wikibasierten Planspiels Ortho & Graf bei Studierenden sowie Schülerinnen und Schülern Neugier an Rechtschreibfragen und grammatischen Strukturen wecken und deren orthographische Kompetenzen erweitern können. Dem Referenten zufolge haben Schülerinnen und Schüler über den Unterricht hinaus an den Aufgaben gearbeitet und waren motiviert, neues Wissen direkt anzuwenden. Außerdem haben sich – wie wissenschaftliche Erhebungen zeigen – ihre Argumentation zur Orthographie und ihre korrekte Rechtschreibung verbessert.
Welche Unterschiede lassen sich zwischen analogen und digitalen Lernarrangements feststellen?
Der Einsatz von Wikis bei der Textproduktion stand auch im Vortrag von Juniorprofessorin Dr. Nadine Anskeit (PH Ludwigsburg) im Fokus: Im Rahmen einer empirischen Studie ging sie der Frage nach, wie sich die Textproduktion von Grundschülerinnen und Grundschülern durch den Einsatz von digitalen im Vergleich zu analogen Schreibumgebungen verändert. Die Ergebnisse der Studie: Es gibt einerseits keine Unterschiede bei der Textqualität zwischen Beiträgen, die am Computer mit der Tastatur geschrieben wurden, und handschriftlich verfassten. Andererseits sind Überarbeitungen bei digital verfassten Texten oft tiefgreifender als bei handschriftlich veränderten Texten.
Wie können Lehrende digitale Bildungstechnologien einsetzen, um sprachliches Lernen zu individualisieren?
Große Hoffnung setzen Forschung und Politik zurzeit in die Individualisierung der Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern, die sich auf künstliche Intelligenz stützt. Damit beschäftigte sich Dr. Heike Schaumburg (Humboldt-Universität zu Berlin) in ihrem Vortrag und stellte die Frage, ob personalisiertes Lernen durch digitale Technologien nicht „alter Wein in neuen Schläuchen“ sei. Denn sogenanntes programmiertes Lernen hat es – der Referentin zufolge – bereits in den 1960er Jahren gegeben. Im Vergleich dazu wird das Konzept des personalisierten Lernens heute in der theoretischen Betrachtung didaktisch vielfältiger gedacht und dann auch in der Praxis umgesetzt: Es orientiert sich mehr an den Schülerinnen sowie Schülern und berücksichtigt verstärkt die Rolle, die die Lehrkraft im Lernprozess spielt. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass sich etwa adaptive computerbasierte Lernprogramme, intelligente tutorielle Systeme, informative Rückmeldungen sowie explorative Lernumgebungen (z. B. Game-based learning, Einsatz von E-Books etc.) positiv auf das Lernen auswirken.
Prof. Dr. Wolfgang Lenhard (Universität Würzburg) stellte ein intelligentes tutorielles Systemvor, das im Rahmen des conText-Projektes entwickelt wurde. Mit dem dort eingesetzten Verfahren der semantisch-latenten Analyse lassen sich unmittelbare Rückmeldungen zu Aufgabenlösungen von Schülerinnen und Schülern generieren. Auf dieser Grundlage kann die Lehrkraft schwache Leistungen, z. B. bei Essays, identifizieren und eine zielgenauere Unterstützung anbieten. Die Ergebnisse einer begleitenden Studie über ein Schuljahr zeigen, dass sich Schülerinnen und Schüler dadurch mehr und früher mit der Überarbeitung ihrer Texte beschäftigen, motivierter sind und sich das Leseverständnis durch solche Textrevisionen verbessert.
Auch im Projekt IDeR Blog, das Michael Gros (Landesinstitut für Pädagogik und Medien Saarland) im Symposium vorstellte, erhalten Schülerinnen und Schüler Rückmeldungen zu Texten, die sie auf der IDeRBlog-Plattform geschrieben haben. Durch die sogenannte learning analytics werden Beiträge, die die Schreibenden über die Plattform eingeben, automatisch auf ihre Rechtschreibung überprüft. Schülerinnen und Schüler erhalten daraufhin eine computergestützte Rückmeldung zu ihren Rechtschreibfehlern. Außerdem bekommen sie Übungen vorgeschlagen, die – je nach Fehlerhäufigkeit und -typ – individualisiert sind.
Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Teilnehmenden, Referentinnen und Referenten im Plenum über den Sinn und Unsinn digitaler Medien. Dabei konzentrierten sich die Beiträge auf die folgenden drei Aspekte:
Analog vs. digital
Unter den Teilnehmenden des Symposiums bestand weitestgehend Konsens, dass es zum einen unsinnig ist, digitale gegen analoge Medien auszuspielen und zum anderen digitale Angebote nur deshalb zu nutzen, weil die Digitalisierung derzeit allgegenwärtig ist. Ebenso waren sich die Diskutantinnen und Diskutanten einig, dass es keinen Sinn ergibt, Lernprozesse zu stark von den technischen Ressourcen aus zu denken und Face-to-Face-Begegnungen für Verstehensprozesse weiterhin elementar bleiben. In diesem Zusammenhang sollten den Teilnehmenden zufolge digitale Medien eigenverantwortliche, kreative, kritische Lernprozesse sowie Kooperation mit Peers ermöglichen. Perspektivisch bietet der Einsatz von Wikis und Blogs zahlreiche Potenziale, um den Schreibprozess zu entlasten und Anregungen zum kooperativen Schreiben sowie zur Dokumentation von Textproduktionsprozessen zu geben.
Motivation
Gamification und die damit verbundene Motivation spielt in der Diskussion über die Nutzung digitaler Medien eine zentrale Rolle. Innerhalb des Symposiums sprachen sich die Teilnehmenden dafür aus, dass diese nicht zum Selbstzweck werden darf, weil Lernprozesse mehr sind als Unterhaltung. Bedacht und punktuell eingesetzt können digitale Medien mit motivierendem und spielerischem Charakter helfen, Lernhürden zu überwinden.
Künstliche Intelligenz und Unterricht
Künstliche Intelligenz unterstützt Lehrkräfte – ohne sie ersetzen zu wollen. Darin bestand im Symposium Einigkeit. Der dargestellte Einsatz intelligenter tutorieller Systeme hat das Potenzial, intensives Arbeiten im Unterricht zu unterstützen und schulisches Lernen zu erleichtern, insbesondere da sich unmittelbares Feedback und direkte Unterstützung im schulischen Alltag oft nicht realisieren lassen. Lehrkräfte werden somit entlastet und haben mehr Ressourcen, um einzelne Schülerinnen und Schüler individuell zu begleiten und zu fördern.
Digitale Tools als sinnvolle Ergänzung
Zusammenfassend sind die digitalen Bildungstechnologien, die die Referentinnen und Referenten dargestellt haben, eine sinnvolle Bereicherung und Erweiterung des Unterrichtangebots. Sie entwickeln die Lernkultur weiter und können als Ergänzung eine größere Vielfalt an Lernmaterialien (etwa Texte, Videos, Spiele usw.) für sprachliche Lehr-/Lernprozesse ermöglichen. Die kann für eine heterogene Schülerschaft besonders förderlich sein.
Lernen mit digitalen Medien hat immer auch einen technischen Aspekt. Es benötigt eine Lernumgebung und braucht kompetentes Lehrpersonal, das sowohl die technische Nutzung sichern als auch eine didaktische Lernumgebung gestalten kann, in der die Lehrkräfte digitale Medien als einen Baustein eines vielschichtigen und interaktiven Lernprozesses integrieren. Dies ganzheitlich zu implementieren ist eine Aufgabe für Bildungspolitik, Bildungspraxis und Bildungsforschung – und zwar, sowohl in Forschung als auch in der Lehre.