Gut 300 Personen aus der Bildungspraxis, darunter Lehrkräfte aus Primar- und Sekundarstufe, Berufsschulen sowie Herkunftssprachenlehrkräfte, Fortbildnerinnen und Fortbildner sowie Personen aus der Bildungsverwaltung haben meine Vorträge und Workshops im Jahr 2021 besucht. In diesem Jahr ging es nicht mehr vordergründig darum ad hoc Ideen für eine Umsetzung auf Distanz zu vermitteln, wie noch im Jahr 2020, sondern die Potentiale digitaler Medien und Tools für den sprachbildenden Präsenzunterricht zu eruieren.
Gut 300 Personen aus der Bildungspraxis, darunter Lehrkräfte aus Primar- und Sekundarstufe, Berufsschulen sowie Herkunftssprachenlehrkräfte, Fortbildnerinnen und Fortbildner sowie Personen aus der Bildungsverwaltung haben meine Vorträge und Workshops im Jahr 2021 besucht. In diesem Jahr ging es nicht mehr vordergründig darum ad hoc Ideen für eine Umsetzung auf Distanz zu vermitteln, wie noch im Jahr 2020, sondern die Potentiale digitaler Medien und Tools für den sprachbildenden Präsenzunterricht zu eruieren. In insgesamt neun Workshops (u. a. für verschiedene Kommunale Integrationszentren in NRW, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin und im Rahmen der BiSS Jahrestagung) habe ich Möglichkeiten aufgezeigt, wie digitale Medien und Tools genutzt werden können, um mündliche, schriftliche und digitalisierungsbezogene sprachliche Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern auszubauen sowie mehrsprachige Ressourcen zu nutzen. Zudem habe ich Vorträge auf verschiedenen Konferenzen gehalten, auf denen Akteur:innen aus Wissenschaft, Bildungspraxis und Bildungspolitik zusammenkommen (Bildungsforschungstagung und EdTechResearch Forum des BMBF, Jahrestagung des Mercator-Institut, KonfBD21 des Forum Bildung Digitalisierung und Konferenz Zukunft Bildungschancen des ZfL Köln).
Ich möchte im Folgenden meine Erfahrungen und Eindrücke aus dem Jahr 2021 kurz rekapitulieren und einige Ideen für 2022 ableiten.
1.Digitale Ausstattung und Infrastruktur: Hier liegt mein Eindruck ganz nah an dem, was die Ergebnisse der Folgebefragungen des deutschen Schulbarometers spezial bescheinigen: Es wird besser, aber es reicht bei weitem noch nicht aus, um Lehr-Lernprozesse unter den Bedingungen der Digitalität flächendeckend umzusetzen. Während einige Lehrkräfte bereits (bzw. erst jetzt) auf eigenen Dienstgeräten in den Workshops arbeiten können, greifen andere auf private Laptops oder gar das Tablet der eigenen Kinder zurück. In Schulen ist es zum Teil anhängig davon, in welchen Räumen unterrichtet wird, ob auf das Schul-WLAN zugegriffen werden kann (wenn eines vorhanden ist). Manchmal ist die Netzabdeckung aber auch so schlecht, dass nicht einmal mobile Daten des eigenen Mobilfunkanbieters ausreichen (so auch unsere Erfahrung im Forschungsprojekt EdToolS). Noch immer haben zu viele Schülerinnen und Schüler keinen oder nur einen eingeschränkten oder unpassenden (z. B. nur ein Smartphone) Zugang zu digitalen Endgeräten zu Hause.
2. Digitalisierungsbezogene Kompetenzen von Lehrkräften sind weiterhin ausbaufähig: Viele Lehrkräfte waren 2021 besser vorbereitet, kannten und nutzen deutlich mehr Tools als noch 2020 und hatten durch die eigenen Erfahrungen auch ein größeres Verständnis hinsichtlich des didaktisch-methodischen Einsatzes digitaler Medien und Tools im eigenen Unterricht. Weiterhin werden aber digitale Tools für kollaborative und kooperative Lernprozesse (zu) wenig genutzt. Auch das bestätigen die Ergebnisse der Folgebefragungen des Schulbarometers. Mein Eindruck ist außerdem, dass mit Blick auf digitalisierungsbezogene Kompetenzen der Abstand zwischen den Teilnehmenden innerhalb der Workshops 2021 größer geworden ist. Dies zeigte sich z. B. darin, dass während einige Teilnehmende noch damit beschäftigt waren einen neu geöffneten Tab auf dem eigenen Gerät zu finden, andere Teilnehmende bereits dabei waren z. B. eine Übung mit einem Lückentextgenerator auf Learningapps.org zu erstellen. Dies war zum Teil für beide Teilnehmendenpole frustrierend und stellte die Organisation der Workshops vor eine größere Herausforderung, als z. B. unterschiedliche Schulformen zu berücksichtigen.
3. Wenige Tools sind manchmal mehr: Die Erfahrung aus einzelnen Workshops (z. B. für das KI Kreis Höxter), in denen ich das Angebot auf einige wenige Tools reduziert hatte, zeigt, dass die vertiefte Auseinandersetzung für Lehrkräfte mit geringen und moderaten Vorkenntnissen zielführend sein kann. Ebenso wurden eingesetzte Übungen für Anfänger:innen und Fortgeschrittene von den Teilnehmenden als sehr positiv erachtet (z. B. im Rahmen des Workshops für das Weiterbildungsstudium der Universität Paderborn oder der BiSS Jahrestagung).
4. Mehr Zeit einräumen und Vernetzung initiieren: Es hat sich nachdrücklich gezeigt, dass Workshopformate (auch aus Sicht der Leitenden) dann gut funktionieren, wenn ausreichend Raum zum Ausprobieren und zum Austausch untereinander vorhanden ist. Dasselbe kann ich aus meinen Lehrveranstaltungen für Lehramtsstudierende an der Universität zu Köln berichten (vgl. Woerfel & Wiesmann 2020). In einigen Workshops wurde der Wunsch nach einer Fortsetzung des Workshops nach einer Reflexions- und Praxisphase im eigenen Unterricht rückgemeldet. Auch hier sehe ich noch viel Ausbaupotential v.a. mit Blick auf Vernetzung (z. B. über Barcamps) und schulinterne Weiterbildung, die unter Lehrpersonen im internationalen Vergleich in Deutschland noch zu wenig unterstützt bzw. gefördert wird (vgl. Ikeda 2020).
5. Der Datenschutz hat uns wieder eingeholt: Während 2020 noch vielerorts ein Auge zugedrückt wurde (so zumindest war mein Eindruck), wurde 2021 der Datenschutz wieder ernster genommen. Dies begegnete mir in vielen Workshop jedoch mit einer großen Frustration: Lehrkräfte hatten sich in ein Tool eingearbeitet, die Schulen dafür Lizenzen gekauft und nun durfte man diese doch nicht mehr benutzen (z. B. Padlet). Laut war der Ruf nach „Positivlisten“, die inzwischen auch in den Koalitionsvertrag (S. 96) der neuen Bundesregierung aufgenommen wurden. Hier sind aus meiner Sicht aber auch Lichtblicke hervorgegangen: Anbietende, die aus dem Anspruch heraus auf den Bildungsmarkt gekommen sind, ein mit Blick auf den Datenschutz für Schulen und Lehrkräfte unbedenkliches Tool bereitzustellen. TaskCards – die deutsche DSGVO-konforme Alternative zu Padlet des Anbieters dSign Systems wurde 2021 (zurecht) begeistert von der #Twitterlehrerzimmer Community hofiert und hatte auch in meinen Workshops einen festen Platz; im Auftrag des Bildungs- und Integrationszentrum Kreis Paderborn ist z. B. eine digitale Pinnwand mit DSGVO konformen Tools für die sprachliche Bildung entstanden. Die Tools von kits – kompetent in Technik und Sprache des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) sind ebenfalls ein weiterer vielversprechender Beitrag. Meine Erfahrungen zum datenschutzkonformen Einsatz Digitaler Medien und Tools im sprachbildenden Unterricht habe ich in einen Beitrag für die Zeitschrift SchulVerwaltung NRW (Ausgabe 11/2021) einfließen lassen.
Blick nach vorne: Letztendlich zeigt der im Dezember veröffentlichte Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sowie die Ergänzung zur Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ mit Nachdruck, dass die Digitalisierung im Bildungsbereich und in diesem Zusammenhang die Professionalisierung von Lehrkräften weiterhin großer Bearbeitung bedarf. Für 2022 und die kommenden Jahre müssen Fortbildungsangebote für Lehrkräfte weiter differenziert werden und Impulse aus dem überarbeiteten Strategiepapier der KMK aufgenommen werden. Dies sollte idealerweise in ko-konstruktiven Prozessen gemeinsam von Wissenschaft, Praxis und Verwaltung erfolgen, um individuelle Praxis-Bedürfnisse zu berücksichtigen, forschungsgestützt Inhalte auszuarbeiten und verschiedene Systemlogiken zu berücksichtigen.
Mit Blick auf meine dargestellten Erfahrungen halte ich besonders folgende Punkte aus dem überarbeiteten Strategiepapier der KMK für zielführend, die ich auch in meine Angebote einfließen lassen möchte:
(S.8) Das Verständnis für die Nutzung von digitalen Medien und Werkzeugen für alltägliche Lehr-Lernprozesse von Schulbeginn an schärfen und in den Zusammenhang mit den erforderlichen Kompetenzen für ein mündiges und souveränes Handeln in einer Kultur der Digitalität bringen.
(S.26) An Schulen neu angeschaffte Hard- und Software unmittelbar zum Anlass von Professionalisierungsmaßnahmen machen (z.B. auf Tablets oder Laptops vorhandene Tools für das forschungsgestützte digitale Schreiben und Überarbeiten von Texten nutzen, vgl. Becker-Mrotzek, Woerfel, & Hachmeister 2020). Dafür werden auch Personen auf Vollzeitstellen benötigt, die diesen Aufgaben als ständige Begleitende an Schulen nachgehen.
(S. 27) Individuell zugeschnittene bzw. durch die Lehrkräfte adaptierbare Fortbildungsformate entwickeln und nutzen. Bei der Planung von Fortbildungsformaten, die digitale Lehr-Lernszenarien berücksichtigen, wäre zu überlegen, wie Grundlagen des Bedienens und Anwendens digitaler Medien sicherzustellen sind (z. B. durch Einführungskurse, Selbstlerneinheiten o. ä.). Eine weitere mögliche Lösung kann darin bestehen, zukünftig Workshops nach Vorkenntnissen zu organisieren bzw. mit Tandempaaren zu arbeiten, die auch in den Schulen selber über den Workshop hinaus an Themen weiterarbeiten und sich austauschen.
(S. 28) Vorhandene digitale Formate der Lehrerbildung ausbauen und hybride Formate entwickeln, die eine Teilnahme an verschiedenen Orten und von verschiedenen Ebenen ermöglichen.
(S. 28) Inner- und außerschulische Vernetzung von Lehrkräften unter Nutzung vorhandener Angebote initiieren. Hier gilt es durch Schulleitungen unterstützt Lerngemeinschaften, Reflexionsgruppen, Hospitationen, Tandems und Peer-Feedback zu initiieren.
Symposium „Sinn und Unsinn digitaler Medien in der sprachlichen Bildung“
von Till Woerfel
Das digitale Angebot für die schulische Bildung wächst gegenwärtig mit rasanter Geschwindigkeit. Dabei fragen die beteiligten Akteure aktuell jedoch nicht ausreichend nach Sinn und Unsinn oder – anders ausgedrückt – nach Nutzen und Kosten der digitalen Medien. Eine wissenschaftliche Absicherung auf Grundlage theoretischer Überlegungen oder empirischer Evaluationen ist selten gegeben oder, wenn vorhanden, intransparent.
In ihren Beiträgen präsentierten die Vortragenden des Symposiums Sinn und Unsinn digitaler Medien in der sprachlichen Bildung, das im Rahmen der siebten Jahrestagung des Mercator-Instituts stattgefunden hat, empirische Befunde, Entwicklungsvorhaben sowie theoretische Überlegungen, ob und wie Lehrkräfte digitale Medien für konkrete sprachliche Lehr-/Lernprozesse im Kontext der schulischen Bildung nutzen können. In diesem Zusammenhang haben die Referentinnen, Referenten und Teilnehmenden Herausforderungen und Potenziale unter folgenden Fragestellungen diskutiert, die durch die Digitalisierung für sprachliche Bildung entstehen.
Wie können Lehrende Lese- und Rechtschreibkompetenzen durch den Einsatz digitaler Medien fördern?
Prof. Dr. Michael Beißwenger (Universität Duisburg-Essen) zeigte in seiner Präsentation, wie Lehrende im Kontext der Gamification mithilfe des wikibasierten Planspiels Ortho & Graf bei Studierenden sowie Schülerinnen und Schülern Neugier an Rechtschreibfragen und grammatischen Strukturen wecken und deren orthographische Kompetenzen erweitern können. Dem Referenten zufolge haben Schülerinnen und Schüler über den Unterricht hinaus an den Aufgaben gearbeitet und waren motiviert, neues Wissen direkt anzuwenden. Außerdem haben sich – wie wissenschaftliche Erhebungen zeigen – ihre Argumentation zur Orthographie und ihre korrekte Rechtschreibung verbessert.
Welche Unterschiede lassen sich zwischen analogen und digitalen Lernarrangements feststellen?
Der Einsatz von Wikis bei der Textproduktion stand auch im Vortrag von Juniorprofessorin Dr. Nadine Anskeit (PH Ludwigsburg) im Fokus: Im Rahmen einer empirischen Studie ging sie der Frage nach, wie sich die Textproduktion von Grundschülerinnen und Grundschülern durch den Einsatz von digitalen im Vergleich zu analogen Schreibumgebungen verändert. Die Ergebnisse der Studie: Es gibt einerseits keine Unterschiede bei der Textqualität zwischen Beiträgen, die am Computer mit der Tastatur geschrieben wurden, und handschriftlich verfassten. Andererseits sind Überarbeitungen bei digital verfassten Texten oft tiefgreifender als bei handschriftlich veränderten Texten.
Wie können Lehrende digitale Bildungstechnologien einsetzen, um sprachliches Lernen zu individualisieren?
Große Hoffnung setzen Forschung und Politik zurzeit in die Individualisierung der Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern, die sich auf künstliche Intelligenz stützt. Damit beschäftigte sich Dr. Heike Schaumburg (Humboldt-Universität zu Berlin) in ihrem Vortrag und stellte die Frage, ob personalisiertes Lernen durch digitale Technologien nicht „alter Wein in neuen Schläuchen“ sei. Denn sogenanntes programmiertes Lernen hat es – der Referentin zufolge – bereits in den 1960er Jahren gegeben. Im Vergleich dazu wird das Konzept des personalisierten Lernens heute in der theoretischen Betrachtung didaktisch vielfältiger gedacht und dann auch in der Praxis umgesetzt: Es orientiert sich mehr an den Schülerinnen sowie Schülern und berücksichtigt verstärkt die Rolle, die die Lehrkraft im Lernprozess spielt. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass sich etwa adaptive computerbasierte Lernprogramme, intelligente tutorielle Systeme, informative Rückmeldungen sowie explorative Lernumgebungen (z. B. Game-based learning, Einsatz von E-Books etc.) positiv auf das Lernen auswirken.
Prof. Dr. Wolfgang Lenhard (Universität Würzburg) stellte ein intelligentes tutorielles Systemvor, das im Rahmen des conText-Projektes entwickelt wurde. Mit dem dort eingesetzten Verfahren der semantisch-latenten Analyse lassen sich unmittelbare Rückmeldungen zu Aufgabenlösungen von Schülerinnen und Schülern generieren. Auf dieser Grundlage kann die Lehrkraft schwache Leistungen, z. B. bei Essays, identifizieren und eine zielgenauere Unterstützung anbieten. Die Ergebnisse einer begleitenden Studie über ein Schuljahr zeigen, dass sich Schülerinnen und Schüler dadurch mehr und früher mit der Überarbeitung ihrer Texte beschäftigen, motivierter sind und sich das Leseverständnis durch solche Textrevisionen verbessert.
Auch im Projekt IDeR Blog, das Michael Gros (Landesinstitut für Pädagogik und Medien Saarland) im Symposium vorstellte, erhalten Schülerinnen und Schüler Rückmeldungen zu Texten, die sie auf der IDeRBlog-Plattform geschrieben haben. Durch die sogenannte learning analytics werden Beiträge, die die Schreibenden über die Plattform eingeben, automatisch auf ihre Rechtschreibung überprüft. Schülerinnen und Schüler erhalten daraufhin eine computergestützte Rückmeldung zu ihren Rechtschreibfehlern. Außerdem bekommen sie Übungen vorgeschlagen, die – je nach Fehlerhäufigkeit und -typ – individualisiert sind.
Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Teilnehmenden, Referentinnen und Referenten im Plenum über den Sinn und Unsinn digitaler Medien. Dabei konzentrierten sich die Beiträge auf die folgenden drei Aspekte:
Analog vs. digital
Unter den Teilnehmenden des Symposiums bestand weitestgehend Konsens, dass es zum einen unsinnig ist, digitale gegen analoge Medien auszuspielen und zum anderen digitale Angebote nur deshalb zu nutzen, weil die Digitalisierung derzeit allgegenwärtig ist. Ebenso waren sich die Diskutantinnen und Diskutanten einig, dass es keinen Sinn ergibt, Lernprozesse zu stark von den technischen Ressourcen aus zu denken und Face-to-Face-Begegnungen für Verstehensprozesse weiterhin elementar bleiben. In diesem Zusammenhang sollten den Teilnehmenden zufolge digitale Medien eigenverantwortliche, kreative, kritische Lernprozesse sowie Kooperation mit Peers ermöglichen. Perspektivisch bietet der Einsatz von Wikis und Blogs zahlreiche Potenziale, um den Schreibprozess zu entlasten und Anregungen zum kooperativen Schreiben sowie zur Dokumentation von Textproduktionsprozessen zu geben.
Motivation
Gamification und die damit verbundene Motivation spielt in der Diskussion über die Nutzung digitaler Medien eine zentrale Rolle. Innerhalb des Symposiums sprachen sich die Teilnehmenden dafür aus, dass diese nicht zum Selbstzweck werden darf, weil Lernprozesse mehr sind als Unterhaltung. Bedacht und punktuell eingesetzt können digitale Medien mit motivierendem und spielerischem Charakter helfen, Lernhürden zu überwinden.
Künstliche Intelligenz und Unterricht
Künstliche Intelligenz unterstützt Lehrkräfte – ohne sie ersetzen zu wollen. Darin bestand im Symposium Einigkeit. Der dargestellte Einsatz intelligenter tutorieller Systeme hat das Potenzial, intensives Arbeiten im Unterricht zu unterstützen und schulisches Lernen zu erleichtern, insbesondere da sich unmittelbares Feedback und direkte Unterstützung im schulischen Alltag oft nicht realisieren lassen. Lehrkräfte werden somit entlastet und haben mehr Ressourcen, um einzelne Schülerinnen und Schüler individuell zu begleiten und zu fördern.
Digitale Tools als sinnvolle Ergänzung
Zusammenfassend sind die digitalen Bildungstechnologien, die die Referentinnen und Referenten dargestellt haben, eine sinnvolle Bereicherung und Erweiterung des Unterrichtangebots. Sie entwickeln die Lernkultur weiter und können als Ergänzung eine größere Vielfalt an Lernmaterialien (etwa Texte, Videos, Spiele usw.) für sprachliche Lehr-/Lernprozesse ermöglichen. Die kann für eine heterogene Schülerschaft besonders förderlich sein.
Lernen mit digitalen Medien hat immer auch einen technischen Aspekt. Es benötigt eine Lernumgebung und braucht kompetentes Lehrpersonal, das sowohl die technische Nutzung sichern als auch eine didaktische Lernumgebung gestalten kann, in der die Lehrkräfte digitale Medien als einen Baustein eines vielschichtigen und interaktiven Lernprozesses integrieren. Dies ganzheitlich zu implementieren ist eine Aufgabe für Bildungspolitik, Bildungspraxis und Bildungsforschung – und zwar, sowohl in Forschung als auch in der Lehre.
Sektionentagung der Gesellschaft für angewandte Linguistik (GAL) 2019, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – Sektion „Migrationslinguistik“
Von Till Woerfel
Herkunftssprachlicher Unterricht (HSU) ist eines der Mittel, Mehrsprachigkeit in der Schule zu berücksichtigen: ein Mittel zur Nutzung sprachlicher Bildungsressourcen sowie ein Zeichen der Anerkennung von Mehrsprachigkeit. Wenngleich HSU gegenwärtig wieder verstärkt in das Bildungswesen einbezogen wird, ist er regelmäßig Gegenstand von Debatten zwischen Politik, Wissenschaft, Schulen, Konsulaten, Vereinen und Lehrkräften. Gleichzeitig gehört er zu den meistdiskutierten Themen in der Migrationslinguistik: Gewinnen SchülerInnen etwas, wenn ihre familiären Herkunftssprachen in das Bildungswesen integriert werden? Kann HSU den regelmäßig in Schulleistungsstudien attestierten Bildungsrückständen von SchülerInnen mit familiärem Migrationshintergrund entgegenwirken? Gewinnt die Bildungsbilanz Deutschlands sprachliche „Bildungsreserven“ durch die Implementierung von HSU? – und wenn ja: was?
Die Forschung zum HSU entwickelt sich im deutschsprachigen Raum erfreulicherweise mit einiger Beschleunigung. Im Rahmen der Sektionentagung der Gesellschaft für angewandte Linguistik (GAL), die am 18.-20.9.2019 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stattfand, widmete sich die Sektion Migrationslinguistik (Prof. Christoph Schroeder, Dr. Peter Rosenberg, in Zusammenarbeit mit Dr. Till Woerfel) dieser Thematik aus wissenschaftlicher und in einem abschließenden Round Table aus bildungspolitischer bzw. -praktischer Perspektive.
In sechs Vorträgen und drei Postern wurden Einzelprojekte und Überblicksstudien zu verschiedenen Themen vorgestellt.
Vernetzung des HSU mit dem Fachunterricht: Christine Enzenbach und Dr. Erkan Gürsoy (Essen, Vortrag 1) und Dr. Işıl Uluam-Wegmann (Essen, Poster) stellten Ergebnisse aus den interdisziplinären Forschungsprojekten SchriFT I und II vor. Die zentralen Ergebnisse zeigen, dass Textsortenfähigkeiten und allgemeinsprachliche Fähigkeiten bei bilingualen deutsch-türkischen SchülerInnen miteinander vernetzt sind.
Darüber hinaus konnte ein Zusammenhang von Adressatenorientierung/Kohärenzherstellung und Textqualität auch im Türkischen der SchülerInnen nachgewiesen werden. Vorläufige Ergebnisse der im Rahmen von SchriFT II durchgeführten Interventionsstudie (Unterrichtsreihe zu einem textsortenbasierten Lehr-Lern-Zyklus) zeigen einen signifikanten Lernzuwachs. Adressatenorientierung und Kohärenzherstellung scheinen sich somit für eine koordinierte Förderung im HSU Türkisch und im Fachunterricht zu eignen.
Einfluss von HSU und Sprachgebrauch: Prof. Dr. Elke Montanari (Hildesheim, Vortrag 2) stellte Ergebnisse aus einem Projekt zum mehrsprachigen Lexikonerwerb vor und ging der Frage nach, wie diese in den Kontext des Gebrauchs der Herkunftssprache im Handlungsbereich Schule/Unterricht gesetzt werden können. Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Besuch des Russisch-HSU zu einem größeren Wortschatzzuwachs führt. Im Vergleich dazu zeigen sich bei den türkisch-deutschen SchülerInnen kaum Unterschiede im Türkischen, unabhängig davon, ob sie den Türkisch-HSU besuchen oder nicht. Wenn man den elterlichen Input berücksichtigt, scheint aber das Gebrauchsmuster der Eltern einen Einfluss zu haben: SchülerInnen haben einen größeren Wortschatz im Russischen bzw. im Türkischen, wenn ihre Eltern zu Hause beide Russisch oder beide Türkisch sprechen, aber auch dann, wenn ein Elternteil Türkisch und ein Elternteil Deutsch spricht. Esra Hack-Cengizal (Frankfurt/Main, Poster)zeigte wiederum, dass im Rahmen ihrer Pilotstudie „Mehrsprachiges Lesen und Wortschatz“ durchgeführte zusätzliche Leseeinheiten in der Herkunftssprache Türkisch den Wortschatzzuwachs im Türkischen nicht signifikant beeinflussen (was womöglich auf die kurze Interventionsdauer zurückzuführen ist); Kinder in der Stichprobe zeigten durch die Nutzung eines zweisprachigen (Lese-)Mediums aber eine gesteigerte Motivation zum Selbstlesen in der Herkunftssprache.
Ressourcenorientierte Didaktik: Prof. Dr. Grit Mehlhorn (Leipzig, Vortrag 3) stellte Ergebnisse des BMBF-Verbundprojekts SMED vor, in dem u. a. binnendifferenzierendes Arbeiten im Russischunterricht untersucht wird, der sich an Fremd- und Herkunftssprachenlernende (HSL) gleichermaßen richtet. Die zur Binnendifferenzierung eingesetzte ressourcenorientierte Didaktik beinhaltete u. a. i) Hilfe zur Bewältigung von Aufgaben, ii) anspruchsvolle Übungen, iii) Übungen für HerkunftssprecherInnen. Zudem arbeiteten SchülerInnen gemeinsam an einem Problem bzw. an einem Text, was sehr gut angenommen wurde. Die Ergebnisse aus der Aktionsforschung zeigen, dass Fremd- und HSL unterschiedliche Voraussetzungen und Lernbedürfnisse haben. So ist das sprachliche Wissen der HSL stark mündlich geprägt und sie besitzen ein implizites, unbewusstes Sprachwissen. Im Vergleich zu Fremdsprachlernenden stellt sie die Orthografie des Russischen vor Herausforderungen. Christine Renker (Bamberg, Poster) stellte didaktisch-methodische Ideen zur Binnendifferenzierung im Fremdsprachenunterricht mit L2 -Lernenden und HerkunftssprecherInnen vor. Ein besonderer Fokus des Projekts liegt auf der Übertragung von Erkenntnissen der bisherigen Herkunftssprachen-Forschung zur zweiten Generation auf die erste Generation der „neuen“ Herkunftssprachen (z. B. Tigrinya, Albanisch, Urdu, Somali, Paschtu, Tschetschenisch).
Lehrwerke: Prof. Dr.Zeynep Kalkavan-Aydın (Freiburg, Vortrag 4) gab anhand im Rahmen des Projekts LiMU (Lernen im Muttersprachlichen Unterricht Türkisch) durchgeführten Lehrwerksuntersuchungen Einblicke, wie Schreibkompetenz in aktuellen Lehrwerken für den muttersprachlichen Zusatzunterricht Türkisch aufgebaut bzw. gefördert wird. Schreibstrategien werden interessanterweise im Lehrplan Türkisch (Ankara 2018, Konsulat Karlsruhe) nicht eingeführt, sondern in den Zielformulierungen als abgeschlossen definiert. Die Analyse zeigt, dass Kooperationen / Kollaborationen ausschließlich in Form von Partnerarbeit zu finden sind (z. B. gibt es keine Schreibkonferenzen), auch entsprechen Schreibprofile nicht den DaZ-/ Deutschdidaktik-Überlegungen im engeren Sinne. Hier stellte sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwiefern Operatoren im HSU mit dem Deutschunterricht koordiniert werden und wie in der jeweiligen Herkunftssprache äquivalente Gebrauchsformen vorkommen können.
Einstellungen von Eltern zum HSU: Prof. Dr. Drorit Lengyel und Prof. Dr. Ursula Neumann (Hamburg, Vortrag 5) stellten die erste große empirische Studie zum HSU aus Elternsicht („HUBE-Studie“) vor, in der 3110 Eltern von Herkunftssprachen-SprecherInnen der 10 häufigsten im Hamburg vertretenen Sprachen befragt wurden. Dabei präsentierten sie einige neue Erkenntnisse: viele Kinder der Befragten besuchen keinen HSU, was meistens am fehlenden Angebot der deutschen Schulen liegt. Besonders sind hier GymnasialschülerInnen, denn HSU findet in Stadtteilschulen zu 48%, aber im Gymnasium nur zu 12% statt. Eltern müssen dann auf Angebote von religiösen Einrichtungen oder Vereinen zurückgreifen; im Russisch-HSU spielen im Vergleich zu den anderen Sprachen die Gemeinden und Vereine eine größere Rolle.
Die Eltern stehen – unabhängig vom eigenen Bildungshintergrund – dem HSU insgesamt aufgeschlossen gegenüber (vor allem, wenn/weil ihre Kinder Lesen und Schreiben lernen) und wünschen sich überwiegend, dass der Unterricht an deutschen Schulen stattfindet. Die Elternwünsche unterscheiden sich z. B. zwischen Türkisch und Polnisch, aber nicht zwischen Türkisch und Russisch.
Herkunftssprachen an Universitäten: In ihrem Vortrag stellte Dr. Helena Olfert (Münster, Vortrag 6) eine Explorationsstudie vor, die dem Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit an universitären Sprachenzentren nachgeht. Sie wies darauf hin, dass an Universitäten Herkunftssprachen an Bedeutung gewinnen; der HSU sich unterscheidet sich im universitären Kontext vom Fremdsprachenunterricht, dass hier an familiär erworbenem Sprachwissen angeknüpft und vergessenes Wissen reaktiviert wird. Hier stehen vor allem der Ausbau von Kompetenzen und der Abbau von Sprachscham, vor allem für berufliche Zwecke, im Vordergrund. Lehrkräfte sehen besondere Herausforderungen im unterschiedlichen Sprachstand der Studierenden, besonders im Verhältnis mündlicher und schriftlicher Sprachkompetenzen.
Round Table: Was nützt und wie geht herkunftssprachlicher Unterricht (zukünftig)? Eine Diskussion zwischen Wissenschaft, Bildungsverwaltung und Praxis.
Die Sektion schloss mit einer Diskussion zwischen Wissenschaft, Bildungsverwaltung und Praxis. Auf dem Podium diskutierten Anna Fabian (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Brandenburg, Projektreferentin im Programm Muttersprachlicher Unterricht), Prof. Dr. Grit Mehlhorn (Universität Leipzig) und María José Sánchez Oroquieta (Bezirksregierung Köln, Fachberaterin Dezernat 41 Arbeitsstelle Migration) den Status quo sowie Zukunftsperspektiven des HSU. Dr. Till Woerfel (Mercator-Institut, Universität zu Köln) moderierte den Round Table und ließ dabei gesammelte Fragen aus der Sektion sowie aus dem Plenum einfließen.
Organisationsformen und Umgang mit individueller Mehrsprachigkeit in Brandenburg und NRW: Zunächst gaben Anna Fabian und María José Sánchez Oroquieta Einblicke in Organisationsformen und Umgang mit individueller Mehrsprachigkeit in Brandenburg und NRW, wo der HSU vom Land (NRW) bzw. von einem freien Träger im Auftrag und in enger Abstimmung mit dem Land (Brandenburg) angeboten wird. Unterschiede zeigen sich hier besonders bezüglich der Curricula, der Anzahl der angebotenen Sprachen, der koordinierenden Angebote (z.B. KOALA) und der Benotung (versetzungsrelevant oder nicht). Insgesamt besteht eine große Notwendigkeit HSU-Lehrkräfte mehr und besser mit anderen Lehrkräften und Schulleitungen zu vernetzen bzw. sie zu LehrerInnenkonferenzen einzuladen.
Brandenburg
Nordrhein-Westfalen (NRW)
Organisation
seit Ende der 1990er wird das Programm “Muttersprachlicher Unterricht” von den RAA Brandenburg (freier Träger) im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) des Landes Brandenburg umgesetzt und ist gesetzlich verankert; es gibt kein Curriculum (bewusste Entscheidung wegen der großen Heterogenität in Bezug auf Sprache und Alter), Orientierung am Rahmenlehrplan für die Jahrgangsstufen 1 bis 10 Berlin-Brandenburg und an Lehrplänen des HSU in anderen Bundesländern;Mindestzahl 12 SchülerInnen;aktuell 114 Lerngruppen (wachsend), die von ca. 80 Lehrkräften auf Honorarbasis unterrichtet werden;als freiwilliges Förderangebot, organisatorisch meist als schulisches Ganztagsangebot / als AG verankert / keine Noten, Zertifikat v. RAA Brandenburg in Abstimmung mit dem MBJS, Teilnahme soll von der Schule im Zeugnis vermerkt werden;Möglichkeit besteht, z. B. zum Abschluss der 10. Klasse eine Sprachfeststellungsprüfung abzulegen, dadurch kann eine Fremdsprache im Zeugnis ersetzt werden;grundsätzliche Herausforderung ist die besonders starke Heterogenität bei jahrgangsübergreifenden Gruppen;Mindestzahl stellt Problem für kleinere Sprachgruppen dar; z. T. auch problematisch Lehrkräfte zu finden (z. B. Kurdisch, Tschetschenisch), u. a. liegt dies aber auch am Aufenthaltsstatus der potentiellen Lehrkräfte;RAA Brandenburg ist für die Auswahl und Einführung der neuen Lehrkräfte verantwortlich und bietet jedes Jahr fachliche Fortbildungen an (besonders nachgefragt aktuell: Differenzierung und Medieneinsatz).
wird seit den 1980er Jahren vom Land organisiert und ist durch einen Erlass gesetzlich verankert;Ein Lehrplan aus dem Jahr 2000 für die Klassen 1 bis 4 und 5 und 6; ein Kernlehrplan aus dem Jahr 2006 für die Klassen 7 bis 10;Mindestzahl 15 SchülerInnen, Sek I: 18 SchülerInnen;bei kleineren Sprachen (z.B. Twi) werden bei Bedarfsanfragen an das Schulamt zunächst Kapazitäten geklärt und der Unterricht und die Nachfrage anschließend pilotiert, um eine mögliche Etablierung der Sprache zu prüfen;Aktuell besuchen landesweit ca. 98.000 SchülerInnen in 6.000 Lerngruppen und werden von 845 LK in den Klassen 1 bis 10 unterrichtet;aktuell 20 Sprachen (nun auch: Koreanisch, Vietnamesisch, Arabisch, Twi);HSU auch als 2./3. Fremdsprache wählbar (findet aktuell nur in einer Gesamtschule in Köln bis zum Abitur statt);Am Ende des HSU-Besuchs gibt es in Klasse 9 bzw. 10 eine Sprachprüfung, deren Ergebnis im Abschlusszeugnis bescheinigt wird; bei der Vergabe der Abschlüsse kann eine mindestens gute Leistung in der Sprachprüfung eine mangelhafte Leistung in einer Fremdsprache ausgleichen;Die Auswahl der Lehrkräfte geschieht durch das Schulamt; in den Bezirksregierungen findet die Fortbildung „Herkunftssprachenlehrkräfte an Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe I“ statt. Eine Teilnahme an der Fortbildung ist verbindlich für alle Lehrkräfte, die nicht im Besitz eines Lehramtes nach NRW-Recht sind;Kurmanci-Lehrkräfte in NRW zu finden, die die Qualifikationsvoraussetzungen erfüllen (s. u.) ist weniger schwierig; aktuell in zwei Varianten: Kurdisch-Kurmanci und Kurdisch-Sorani. Die von fachkundigen Lehrkräften erteilt werden;Fachliche Fortbildungen finden in den jeweiligen Bezirksregierungen statt.
Qualifikation der Lehrkräfte
Bedingungen: Unterrichtssprache ist auch L1 der Lehrkraft, pädagogisch-didaktische Qualifikation;Idealerweise sprachbezogene Lehrqualifikation und mehrjährige Berufserfahrung, eine deutsche Lehramtsqualifikation (mit 2 Fächern) muss nicht vorhanden sein;(aktuell haben 75% der Honorarkräfte eine Lehrqualifikation).
Lehramt oder Magister im Herkunftsland; Mindestanforderung: mind. Lehramt in anderer Sprache (C1-Niveau), aber flexibel;Zielsetzung durch das 2007 initiierte “Netzwerk Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte” HSU-Lehrkräfte zu gewinnen hat bisher nicht funktioniert.
Kooperation HSU-Lehrkräfte – Regellehrkräfte
RAA Brandenburg stimmt mit der Schule mind. eine zentrale Ansprechperson für die HSU-Lehrkraft ab (meist Schulleitung);Vernetzung mit anderen Lehrkräften (v.a. Sprachlehrer/innen) und mit Schulsozialarbeit wird angeregt, damit Austausch stattfindet und um schulische Ressourcen (z. B. Unterrichtsmaterialien wie Bildkarten) für den HSU zu nutzen, damit eine Parallelisierung stattfinden kann;Insgesamt ist die Kooperation und der Austausch mit weiteren Regelkräften grundsätzlich weiter ausbaufähig.
Das Konzept„Koordinierte zweisprachige Alphabetisierung im Anfangsunterricht” (KOALA) (s. weiterführend die Evaluation von Reich 2016) gibt es schon seit Ende der 90er Jahren; es unterrichten ca. 30 Grundschulen im Regierungsbezirk Köln in den Sprachenkombination Deutsch/Arabisch, Deutsch/Griechisch, Deutsch/Italienisch, Deutsch/Russisch und Deutsch/Türkisch sowie im Regierungsbezirk Arnsberg in Deutsch/Türkisch;Prinzipien des KOALA-Konzeptes sind: Gemeinsame Vor-und Nachbereitung des Unterrichts, Teamteaching, kontrastive Spracharbeit, zusätzlich 3h HSU;Bilinguales Lernen findet auch als Vernetzung des Regel- mit dem HSU im Primarbereich statt: in Bezirks-regierungen Arnsberg und Düsseldorf jeweils an einer Grundschule in der Sprachenkombination Deutsch-Italienisch und in der Stadt Köln an 7 Grundschulen mit den Sprachen-kombinationen Deutsch/Englisch, Deutsch/Französisch, Deutsch/Italienisch, Deutsch/Spanisch und Deutsch/Türkisch; außerhalb von KOALA besteht die Notwendigkeit, die HSU-Lehrkräfte zu integrieren; Desintegration der HSU-Lehrkräfte zeigt sich z. B. schon dadurch, dass sie nicht zu wichtigen Lehrer- bzw. pädagogischen Konferenzen eingeladen und somit nicht über mögliche Entwicklungen oder Änderungen im Bildungsbereich informiert werden;nur wenige Schulen in NRW würdigen in der Realität die Mehrsprachigkeit, obgleich das Thema in Erlässen, Lehrplänen und Curricula steht.
Im zweiten thematischen Block ging es um Perspektiven und Utopien des HSU und die Frage, ob die heutige Form des herkunftssprachlichen Unterrichts ein Auslaufmodell ist.
Zur Idee, den HSU Türkisch für alle Fremdsprachenlernende zu öffnen (vgl. Küppers & Schroeder 2017), entgegnete Grit Mehlhorn, dass dies zwar eine Möglichkeit für größere Herkunftssprachen darstelle, aber eben nicht für kleinere Sprachen (z.B. Tschetschenisch), weil u. U. zu wenig SchülerInnen vorhanden sind. Ideal wäre vielmehr das Modell der Europa-Schulen am Beispiel Berlin (vgl. weiterführend Möller et al. 2018): Die Herkunftssprachen sind in diesem Modell versetzungs- und abschlussrelevant (somit auch anerkannt) und werden in einer hohen Stundenzahl kontinuierlich (als obligatorische 2. Fremdsprache) unterrichtet. Sie sind somit nachhaltiger als Nachmittagsunterricht. Zudem findet dort bilingualer Sach-Fach-Unterricht statt, d. h. hier kann sich die Herkunftssprache auch als Bildungssprache entwickeln, da sie in verschiedenen Fächern Anwendung findet. In den Europaschulen wird zudem unterschieden zwischen Partnersprachenklassen (Fremdsprachenlernende und schwache Herkunftssprachenlernende) und Muttersprachenklassen (mit höherer Kompetenz, Schulbildung teilweise bereits im Herkunftsland).
Für HSU-Lehrkräfte sah sie eine Zwei-Fächer-Qualifikation als erstrebenswert, denn nur dann wird es eine Integration ins Kollegium geben, weil die Vernetzung mit anderen Lehrerkräften bzw. Fächern stattfindet. Hierfür seien zudem gute Deutschkompetenzen notwendig, um Sprachvergleiche anzustellen. Das Gesamtsprachencurriculum von Hufeisen (2011) gelte weiterhin als Zielperspektive, um Herkunftssprachen im Sprachcurriculum zu verankern. Die Diskussion ging anschließend um die Ausbildungskapazitäten an Universitäten als möglicher Schlüssel für Qualifikation und Vernetzung. Grit Mehlhorn nannte die Russisch-, Polnisch-, Tschechischlehrkräfteausbildung an der Universität Leipzig als Beispiel einer hoffnungsvollen Entwicklung in der Lehrerbildung (RU: nur Sekundarstufe); es wurde bemängelt, dass außer des Lehramtsstudiengangs für Türkisch an der Universität Duisburg-Essen (auch nur Sekundarstufe I+II) keine spezifische HSU-Lehrerbildung in Deutschland gebe und vor allem der Primarbereich völlig unberücksichtigt bleibt.
Grundsätzlich handele es sich hier aber um eine politische Frage, die die KMK thematisieren müsste, und nicht um eine Frage, die von einer Universität oder einer Schule zu lösen ist.
Erkan Gürsoy schlug vor, zukünftig HSU-Konzepte inklusiv auszurichten, die z. B. einsprachig Deutsch aufgewachsene SchülerInnen berücksichtigen. Zudem sei es zielführend, einen Lernbereich in der Grundschullehramtsausbildung einzurichten, mit dem Ziel der Professionalisierung von Grundschullehrkräften, die z. B. neben Deutsch und Mathematik auch DaZ und Herkunftssprachen wie Arabisch, Kurdisch, Türkisch unterrichten.
María José Sánchez Oroquieta stellte klar, dass der HSU aus Verwaltungs- bzw. Praxisperspektive keinesfalls ein Auslaufmodell sei. Dies habe weniger damit zu tun, dass es aktuell keine Alternative dazu gibt, sondern vielmehr zeigten die Jahrzehnte, in denen HSU, oder Vorzeigeprogramme wie KOALA, angeboten wird, durchaus Erfolge: Viele SchülerInnen, die den Unterricht regelmäßig besucht haben, haben mit Erfolg eine Stärkung ihrer Identität und eine gute Bildung in ihrer Herkunftssprache erhalten und später ihre Herkunftssprache im Beruf einsetzen können. Dies sei auch ein Verdienst sowohl der Eltern, die dafür gesorgt haben, dass die SchülerInnen den Unterricht besuchen als auch von hunderten von Lehrkräften, die den Unterricht unter z. T. ungünstigen Bedingungen erteilt haben.
Abschließend äußerten die Diskutantinnen ihre gegenseitigen Wünsche.
Aus Projektperspektive wünscht sich Anna Fabian didaktische Modelle sowie weitere Fortbildungen, die auch eine stärkere Vernetzung der Lehrkräfte (HSU- und Fremdsprachenunterricht) bzw. gemeinsames Lernen berücksichtigen. María José Sánchez Oroquieta wünscht sich zukünftig ein inklusives Modell, eine Didaktik der Mehrsprachigkeit, sowie eine Integration der HSU-Lehrkräfte auf Augenhöhe in den Schulen. Grit Mehlhorn wünscht sich mehr praxisorientierte Forschung und plädiert an Forschende, sich in die Praxis zu begeben und Expertise aus der Praxis aufzunehmen, um Transfer in beide Richtungen zu ermöglichen. Fortbildungen müssen auf Augenhöhe und keine reine Input-Veranstaltungen sein, sondern den Austausch im Blick haben. So würde man Fortbildungen für HSU-Lehrkräfte attraktiver machen und den Austausch unter Lehrkräften ermöglichen, was eine Bestärkung eigener Lehrpraktiken bewirken könnte. Die Aufgabe der Bildungsinstitutionen wäre es, noch stärker wissenschaftliche Expertise bei der Beratung von Personen mit Entscheidungsgewalt, bei der Erstellung von Curricula, oder bei der Konzipierung von Prüfungen und Lehrwerken einzubeziehen. Dies ist z. B. im „Rahmenplan Herkunftssprachenunterricht” von Rheinland-Pfalz gelungen, wo Prof. Dr. Inci Dirim und Prof. Dr. Hans H. Reich beratend mitgewirkt haben.
Referenzen
Hufeisen, B. (2011). Gesamtsprachencurriculum: Weitere Überlegungen zu einem prototypischen Modell. In R. S. Baur & B. Hufeisen (Hrsg.), „Vieles ist sehr ähnlich“: Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als bildungspolitische Aufgabe (S. 265–282). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. [Volltext]
Küppers, A., & Schroeder, C. (2017). Warum der türkische Herkunftssprachenunterricht ein Auslaufmodell ist und warum es sinnvoll wäre, Türkisch zu einer modernen Fremdsprache auszubauen Eine sprachenpolitische Streitschrift. Fremdsprachen Lehren und Lernen, 46(1), 56–71. [Volltext]
Reich, H. (2016). Auswirkungen unterschiedlicher Sprachförderkonzepte auf die Fähigkeiten des Schreibens in zwei Sprachen. In P. Rosenberg & C. Schroeder (Hrsg.), Mehrsprachigkeit als Ressource in der Schriftlichkeit (S. 177–206). https://doi.org/10.1515/9783110401578-011